Stress ist ein Dauerbrenner. Wir reden darüber, klagen darüber, versuchen ihn wegzuatmen, wegzuarbeiten oder wegzureden. Doch oft basiert unser Umgang mit Stress auf alten Glaubenssätzen und Mythen, die wir unkritisch übernommen haben. Zeit, damit aufzuräumen. Hier kommen sieben populäre Stress-Mythen, die du getrost vergessen kannst – wissenschaftlich fundiert, menschlich erklärt und mit einem Augenzwinkern entlarvt.
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1. «Stress ist immer schlecht»
Stell dir vor, du stehst auf einer Bühne, das Publikum wartet, dein Herz klopft. Stress, oder? Aber was, wenn genau dieser Moment dich fokussierter, wacher und kreativer macht? Willkommen beim Eustress, dem positiven Stress.
In der Neurowissenschaft unterscheiden wir zwischen Eustress (positiv, motivierend) und Distress (negativ, überfordernd). Stress ist eine biologische Reaktion deines Körpers: Das sympathische Nervensystem feuert, Adrenalin wird ausgeschüttet, dein Körper ist bereit für Leistung. Solange du das Gefühl hast, die Kontrolle zu behalten, kann Stress sogar wie ein mentaler Booster wirken.
Psychologen betonen: Entscheidend ist nicht ob du Stress hast, sondern wie du ihn bewertest. Wer Herausforderungen als Chance sieht, aktiviert andere neuronale Netzwerke als jemand, der sich überfordert fühlt. Eine bekannte Studie der Stanford-Professorin Kelly McGonigal zeigte, dass Menschen, die Stress als hilfreich sehen, sogar gesünder leben.
Der Clou? Nicht der Stress per se ist der Feind, sondern der chronische, unkontrollierte Stress ohne Pause. Lerne ihn zu verstehen und du kannst ihn sogar für dich arbeiten lassen.
2. «Nur Schwache haben Stress»
Dieser Mythos ist besonders hartnäckig – und besonders toxisch. Denn er stigmatisiert Menschen, die ohnehin schon am Limit sind.
Neurobiologisch betrachtet reagiert jeder Mensch auf Stressreize. Unser Gehirn erkennt Bedrohungen, bewertet sie blitzschnell und startet die Stressreaktion. Völlig egal, ob du CEO eines Tech-Unternehmens bist oder alleinerziehende Mutter.
Was Menschen unterscheidet, ist nicht das «Ob», sondern das «Wie»: Wie wir mit Stress umgehen, wie wir ihn regulieren. Resilienz ist trainierbar, aber niemand ist immun. Auch nicht die scheinbar «Starken».
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Leistungssportler. Nach außen tough, diszipliniert, unerschütterlich. Innen? Erschöpft, zweifelnd, gestresst. Seine Worte: «Ich dachte, wenn ich gestresst bin, bin ich schwach. Jetzt weiß ich, dass mein Körper mir einfach zeigt, dass ich etwas ändern muss.»
Menschen zu unterstellen, sie wären schwach, wenn sie Stress empfinden, ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Denn es hält uns davon ab, Hilfe anzunehmen, offen zu sprechen und gesund zu bleiben. Stress ist menschlich. Punkt.
3. «Du musst nur genug meditieren, dann hast du keinen Stress mehr»
Klar, Meditation ist genial. Sie beruhigt das Nervensystem, aktiviert den Parasympathikus, trainiert Achtsamkeit und Selbstregulation. Aber zu behaupten, sie sei ein Allheilmittel gegen Stress, ist genauso kurzsichtig wie zu glauben, ein Smoothie löse alle Gesundheitsprobleme.
Meditation wirkt – das zeigen zahlreiche Studien. Sie verändert nachweislich die Struktur deines Gehirns: Der Hippocampus (zuständig für Lernen und Erinnerung) wird gestärkt, die Amygdala (Zentrum für Angst und Stress) verkleinert sich.
Aber: Meditation ist kein Pflaster für ein Leben, das chronisch überfordernd ist. Wenn dein Alltag aus Dauerstress, fehlender Selbstfürsorge, toxischer Arbeit und ständigem Druck besteht, wird dir auch die beste Meditation nur temporär helfen.
Stressbewältigung braucht mehr: Bewegung, Schlaf, soziale Bindungen, gesunde Grenzen, eine ehrliche Innenschau. Und ja, manchmal auch professionelle Hilfe.
Meditation ist ein starker Baustein – aber nicht das ganze Haus.
4. «Multitasking macht dich effizienter»
Spoiler: Multitasking ist ein Mythos. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Was wir eigentlich tun, ist «Task Switching» – wir springen schnell von einer Aufgabe zur nächsten. Und das kostet Energie.
Neurowissenschaftlich betrachtet braucht jede Aufgabenart eigene neuronale Netzwerke. Wenn wir zwischen ihnen hin- und herspringen, entstehen kognitive Reibungsverluste. Konzentration leidet, Fehler nehmen zu. Studien zeigen: Multitasker brauchen länger, machen mehr Fehler und fühlen sich gestresster.
Ich erinnere mich an ein Experiment: Zwei Gruppen sollten Aufgaben erledigen. Eine durfte nur eine nach der anderen machen, die andere multitaskte. Ergebnis? Die Single-Tasker waren schneller, präziser und gelassener.
Die moderne Arbeitswelt feiert «Busy-Sein» oft als Statussymbol. Aber echte Produktivität entsteht durch Fokus. Single Tasking ist keine Schwäche, sondern ein Skill. Und vor allem: ein Beitrag zu weniger Stress.
5. «Wer Stress hat, arbeitet einfach falsch»
Dieser Satz ist eine perfide Mischung aus Leistungsdruck und Selbstoptimierungswahn. Er impliziert: Wenn du gestresst bist, machst du etwas falsch. Aber so einfach ist es nicht.
Stress entsteht nicht nur durch schlechte Organisation oder ineffiziente Arbeitsweisen. Oft liegt es an den Bedingungen: zu viel Arbeit, zu wenig Anerkennung, fehlende Pausen, hohe Verantwortung, schlechte Kommunikation.
Psychologisch sprechen wir vom «Job-Demands-Resources-Modell»: Wenn die Anforderungen steigen, aber die Ressourcen nicht mithalten, entsteht Stress. Das hat nichts mit «falsch arbeiten» zu tun, sondern mit einem Ungleichgewicht.
Ein Beispiel: Anna, eine hochengagierte Lehrerin. Sie plant perfekt, organisiert top, liebt ihren Beruf. Trotzdem ist sie erschöpft. Warum? Klassen sind zu groß, die Ansprüche hoch, der Support gering. Das Problem ist nicht Anna, sondern das System.
Stress ist oft ein Signal: Hier passt etwas nicht. Sei es in der Arbeit, im Umfeld oder in den Erwartungen an dich selbst. Es geht nicht darum, dich zu optimieren, sondern deine Bedingungen zu reflektieren.
6. «Burnout trifft nur Manager»
Lange galt Burnout als Managerkrankheit. Menschen in Anzügen, mit Meetings und 60-Stunden-Wochen. Doch das Bild ist veraltet – und gefährlich.
Burnout ist kein Statusphänomen. Es ist eine Erschöpfungsreaktion auf chronische Überforderung, emotionale Erschöpfung, Sinnverlust. Und das betrifft Menschen in allen Lebensbereichen.
Studien zeigen: Pflegekräfte, Lehrerinnen, Studierende, Selbstständige, Mütter, Künstler – sie alle sind betroffen. Besonders Menschen, die mit viel Herzblut arbeiten, sind anfällig. Warum? Weil sie oft über ihre Grenzen gehen.
Ein befreundeter Sozialarbeiter sagte mal: «Ich war so beschäftigt, anderen zu helfen, dass ich vergessen habe, mich selbst zu retten.» Burnout trifft oft die, die zu lange zu viel geben.
Neurowissenschaftlich zeigen sich im Burnout veränderte Aktivierungen im Frontalhirn und in der Amygdala. Die Reizverarbeitung verlangsamt sich, die Emotionsregulation leidet.
Burnout ist real, vielschichtig und verdient Ernsthaftigkeit – nicht Klischees.
7. «Ein bisschen Urlaub und alles ist wieder gut»
Wer kennt ihn nicht, den Klassiker: «Mach mal Urlaub, dann geht’s dir besser.» Klar, Erholung ist wichtig. Aber Urlaub ist keine Wundermedizin für chronischen Stress.
Kurzfristig kann ein Tapetenwechsel helfen, die Stresskurve zu senken. Doch oft holen uns die alten Muster nach der Rückkehr doppelt so hart ein. Warum? Weil der Stress nicht im Urlaubsort lag, sondern im Alltag.
Langfristiges Stressmanagement bedeutet: Routinen ändern, Prioritäten setzen, Grenzen ziehen, Nein sagen lernen, innere Antreiber erkennen. Es ist ein bewusster Lebensstil, keine 14-Tage-Auszeit.
Eine bekannte Psychologin sagte mal: «Wenn du jedes Jahr in den Urlaub flüchten musst, um dein Leben auszuhalten, ist nicht der Urlaub das Problem.» True.
Stressbewältigung braucht Kontinuität, Achtsamkeit und manchmal Mut zur Veränderung. Urlaub ist die Pause. Der Kurswechsel passiert im Alltag.
Stress ist kein Feind, sondern ein Bote. Die Frage ist nicht, wie wir ihn vermeiden, sondern wie wir ihn verstehen und gesund navigieren. Lass dich nicht von Mythen verwirren. Dein Leben ist zu wertvoll für Bullshit.
Und du? Welchem dieser Mythen bist du selbst schon begegnet?
Ich freu mich, wenn du deine Gedanken oder Erfahrungen unten in den Kommentaren teilst – oder mir direkt eine Nachricht schickst.
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